Ein Gespräch

Farbräume – ein Gespräch mit Hedwig Katzenberger

Wir sind an ein Zusammenspiel von Form und Farbe gewöhnt.
Ihre Bilder sind ein Zusammenspiel von Licht und Farbe.
Was an Form blieb,  ist eine räumliche, rahmenhafte Eingrenzung.
Hat Sie das Figürliche nie interessiert oder ist es irgendwann aus Ihren Bildern verschwunden?

Es ist verschwunden. Als ich anfing zu malen, habe ich Landschaften gemalt, später abstrakte Zeichnungen vor Bildhintergründen. 
Nach und nach sind davon nur die Hintergründe geblieben.

Vielleicht ist es das Graphische, das Zeichnerische, das einem Bild Handlung, „action“, gibt.
Ihre Bilder hingegen strahlen eine große Ruhe aus. 
Sind sie auch Meditationsvorlagen für den Betrachter?

Ja, sie sind wirklich weit weg von Handlung. Die Innenflächen sind für mich immer Kürzel für Dasein, für Existentielles. Es sind komprimierte Landschaften oder Jahreszeiten oder Stimmungen des Tages.
Ein Beispiel: Blaue Grundtönung sollte immer etwas haben von Himmel und von Nacht, von Wasser und von Tod. 

Das farbliche Changieren Ihrer Bilder erfordert eine Technik, die ich so noch nie gesehen habe.
Ohne Geheimnisse preiszugeben, wann und wie kamen Sie auf diese Maltechnik, diese Technik des Ineinanderfließens verschiedener Farben?

Das war ein Prozeß von über zwanzig Jahren. Ich bin von der Aquarelltechnik ausgegangen und irgendwann ist mir klargeworden, daß ich die Nahtstellen zwischen den gesetzten Flächen verschwinden lassen mußte. 
Es ist einfach ein permanentes Üben, ein ständiges Bei-der-Arbeit-Sein und Neulernen.

Durch „Lichtes“ bekommen Ihre changierenden Farben etwas sich ruhig Fortbewegendes.
Wie setzen Sie die Lichtpunkte auf Ihren Farbflächen? Gibt es da ein Konzept?

Konzept nicht, das ist ein Suchen. Ich suche während des Malens irgendwo ein Lichtzentrum, eine Form. Für mich ist diese Fläche nicht formlos, sondern gestaltet: das Licht ist die zentrale Form. Licht und dann diese innere Ebene, umgeben von dem, was man „Rahmen“ nennen könnte.
Das Figürliche ist verschwunden, Licht als Form blieb. 

Warum eigentlich diese Rahmen. Sie schränken Sie doch ein?

Das ist etwas, was ich mich auch immer wieder frage. Doch diese Rahmen sind für mich zwingend, etwas, das ich so machen muß. 
Wenn sie rundum geschlossen sind, verweisen sie auf die Bedeutung der Innenfläche. Es gibt auch andere Bilder, ganz offene, ohne Begrenzung, doch ich kehre immer wieder zur Umrahmung zurück.
Ich stelle mir vor, man kann auch hinter die Bildinnenfläche gehen, und sie ist dazu da, einen Hintergrund zu verbergen. Man sieht nicht, was hinter dieser Fläche ist. Das finde ich ungeheuer spannend.

Wir haben vom Licht gesprochen, von den Rahmen…
Bevor Sie diese Akzente setzen, geben Sie dem Entstehenden einen farblichen Grundton.
Entsteht er aus Überlegung oder aus Ihrer jeweiligen Stimmung?

Zunächst ist da oft eine Überlegung, doch dann merke ich während des Malens, wie die Überlegung zerplatzt. 
Ich weiß, ich muß ganz nah an meinem Gefühl sein und ganz direkt reagieren.
Einmal hatte ich viel Scheußliches durchzustehen. Ich dachte, „Jetzt  mache ich mir etwas ganz Schönes, irgendwas in Perlmuttönen. Ich hol‘ mich raus aus dem Morast.“
Und als ich fertig war, stand ich vor Dunkelblau mit Grau und Grün und Schwarz.
Und es war wahr. 

Wie, wann und wo entstehen Ihre Bilder?

Also meistens da oben, im „Kämmerchen“. Und immer dann, wenn ich Kraft habe, wenn ich das Gefühl habe, jetzt passiert etwas. Und wenn das Licht richtig einfällt; das ist wichtig hier. 

Einerseits haben Ihre Bilder für mich etwas Hochmodernes, andererseits etwas beinahe Nostalgisches: Die von Ihnen unserer Palette beigemengten Farbtöne, die neuen Blaus und Grüns, sind eine derzeit von Designern dankbar aufgegriffene Bereicherung der Farbgebung, andererseits widersetzen sich Ihre Bilder den strengen Formen der Neuesten Sachlichkeit.
Wo sehen Sie selbst das Moderne und das Romantische Ihrer, wenn ich sie einmal so nennen darf, „Farbräume“?

Ja, ich finde auch, daß meine Art „Form“, die Lichtgebung, modern ist. Und natürlich stehe ich auch der Romantik sehr nahe, nicht nur, was die „impersonale Mystik“ betrifft; es gab sie ja nicht nur in der Romantik, sondern auch in vielen Kulturen und Religionen. 
Da bin ich irgendwo angesiedelt.

Damit sich der Betrachter auch ein Bild von Ihnen machen kann, geben Sie uns ein paar Stichpunkte zu Ihrer Biographie.

Ich habe von mir das Gefühl, daß ich bis jetzt ein gelungenes Leben hatte. Natürlich gab es auch großen Kummer, Krankheit und Tod. Aber trotzdem, ich hatte viel Glück
Vielleicht ist es wichtig, daß ich keine gravierenden Kränkungen erlebt habe. Ich glaube, daß ich das in meine Bilder reinhole.

Sie sind als Künstlerin autodidakt. Was war da noch, außer der Kunst?

Ich habe Psychologie studiert, Vergleichende Religionswissenschaft und Philosophie.
Nach Diplom und Promotion arbeitete ich freiberuflich als Psychologin; eine ganze Weile hab´ ich das gemacht. Und natürlich habe ich immer gemalt; es war das Wesentliche für mich, das, was ich tun mußte. Die Psychologie trat immer weiter in den Hintergrund. Schließlich blieb da nur noch das Malen.

Welche Künstler welcher Zeiten lieben Sie, gibt es Vorbilder?

Ja und nein. Ich malte anfangs wie die drei indischen Affen. Ich wollte nichts anderes sehen, wollte nichts abmalen oder mich irgendwo anhängen. Ich wußte immer, für mich ist künstlerisch nur wichtig, wenn ich das finde, was ich selbst will – wenn ich meinen eigenen Weg finde.
Etwa 1983 stand ich bei meinen Bildern vor „leeren“ Flächen – keine Zeichnungen mehr, keine Details. Von dem Moment an konnte ich mich wieder umsehen. Ich merkte, daß der Abstrakte Expressionismus in Amerika ähnliche Grundformen hat, Rothko beispielsweise. Die Malerei von Gotthard Graubner und Reimer Jochim  lernte ich kennen und traf Rupprecht Geiger. Beim Betrachten meiner Bilder sagte er, es gäbe eine geistige Verwandtschaft zwischen uns.
Turner liebe ich, besonders die späten Aquarelle, in denen kaum noch etwas Gegenständliches zu erkennen ist –  und vieles aus der klassischen Moderne und Moderne. –
Bei den alten Meistern hab ich ein paar Lieblinge:
den späten Rembrandt mit seinen Selbstportraits und Vermeer und aus Italien Fra Angelico.

… von „Abmalen“ also wirklich keine Rede…
Aus Ihren Bildern klingt Musik. Entstehen sie zu Musik?

Ja, immer. Ich male zu Liedern der Romantik – gesungen von Kathleen Ferrier und Dietrich Fischer – Dieskau, zu Kammermusik – besonders gerne höre ich Glenn Gould und die Bratschistin Kim Kashkashian – und zu improvisierter Musik, z.B zu Klaviermusik von Keith Jarrett und anderer Musik von ECM. 

Sind Ihre „Farbräume“ Kontrapunkte zu einer Welt aus kurz geschnittenen Videos, Werbespots, Comicstrips und Pictogrammen?

Ja. Sie haben die Ruhe, die jeder Mensch braucht, um mit der „Welt draußen“ wieder zurechtzukommen.

Danke.

Michael Bauer

 

Anmerkung zum Gespräch mit Michael Bauer (1995) aus heutiger Sicht:
In den verflossenen 20 Jahren haben die “ offenen „, “ rahmenlosen Bilder“  immer mehr an Bedeutung gewonnen.
Aus den zwei Ebenen, Bildinnenfläche und  Aussenfläche,  ist eine geworden.