Es ist noch nicht lange her, dass ich Gedichte aus der Epoche der Romantik fand, die nicht nur deren Grundthematik von der Allverbundenheit der Welt auf anrührende Weise spiegeln, sondern auch eine große Nähe zu den Ergebnissen der Quantenphysik und dem Geist der impersonalen Mystik in der Religionsgeschichte vorweisen.
Die Basis meiner Malerei ist ein ähnliches Denken und Fühlen, so möchte ich gerne die innere Verwandtschaft der drei völlig unterschiedlichen Disziplinen aufzeigen.
Ich beginne mit Shankara: Er lebte von 788 – 828 n. Chr. in Indien und ist der bedeutendste Vertreter der Philosophie des Vedânta1, eines strengen Monismus.
Zentrum seines religiösen Erlebens und Meditierens ist „Advaita“, die Nicht-Zweiheit.
„Nur das angeborene Nichtwissen lässt in uns die Vielheitsillusion entstehen“2
Das höhere Wissen offenbart die Einheit der Welt.
Die Quantenphysiker Erwin Schrödinger und Hans Peter Dürr beziehen sich immer wieder auf den Gedanken des „Advaita“, um ihre quantenphysikalischen Erkenntnisse zu verdeutlichen.
Erwin Schrödinger (1887 – 1961) war einer der hervorragenden Quantenphysiker. Die Wellenmechanik und die Schrödinger Gleichung sind vielleicht die berühmtesten seiner vielen Entdeckungen.
1933 erhielt er den Nobelpreis.
Er wäre gerne Dichter geworden. Er war äußerst gebildet in geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie Philosophie, Religionswissenschaft und der Literatur.
Über seine Schopenhauer Studien lernte er die „Einheitslehre der Upanishaden“ kennen3.
In seiner letzten Veröffentlichung „Mein Leben, meine Weltansicht“ fasst er die weltanschauliche Konsequenz quantenphysikalischer Entdeckungen in einem Satz zusammen, indem er sie in Beziehung setzt zu Shankaras Credo.
„…….Vielheit ist nur S c h e i n, s i e b e s t e h t i n W i r k l i c h k ei t g a r n i c h t . Die Philosophie des Vedânta hat dieses ihr Grunddogma durch manches Gleichnis zu verdeutlichen gesucht, wovon eines der ansprechendsten das vom Kristall (ist), der von einem nur einmal vorkommenden Gegenstand Hunderte von kleinen Abbildungen zeigt, ohne dass doch der Gegenstand dadurch wirklich vervielfacht würde“4
Hans Peter Dürr (1929- 2014) studierte und promovierte nach dem zweiten Weltkrieg in den USA. Wieder in Deutschland, gelang es ihm Mitarbeiter Heisenbergs zu werden, den er immer bewundert hatte.
Es entwickelte sich eine vertraute Beziehung, in der Heisenberg mit ihm zusammen, die oft rätselhafte Bedeutung der mathematisch-physikalischen Lösungen in Bildern zu ergründen suchte.5
Von 1971 bis 1995 leitete Hans Peter Dürr als Nachfolger Heisenbergs das Max Planck Institut für Physik in München.
Neben seinen Forschungen über Elementarteilchen und Kernphysik engagierte er sich in der Umweltpolitik und Friedensforschung.
1987 erhielt er den Alternativen Nobelpreis.
Er versuchte in unermüdlicher Arbeit auf der ganzen Welt, seinen Zuhörern die innige Zusammengehörigkeit alles Seienden nahe zu bringen.
Zitat:
„Man muss eine Stufe tiefer steigen, wo man überhaupt nicht mehr von Materie spricht, sondern nur noch von Symetrien redet, also von Gestalten in einem allgemeinen Sinn.- Es gibt dort keine Materie mehr, aber alles hängt unauftrennbar miteinander zusammen: also eine Art „Advaita“, was gewissermaßen alles umfasst und durchdringt, ohne dass es Teile und zwischen ihnen so etwas wie Wechselwirkungen etc .gibt.“6
Nicht nur in der Religionsgeschichte und Quantenphysik gibt es die geheimnisvolle Nähe von Fühlen, Ahnen, Wissen, sondern auch (vor allem ) in der Literatur der Romantik.7
Dies spiegeln die Verse von Novalis (1772-1801):
„Alles Sichtbare haftet am Unsichtbaren,
das Hörbare am Unhörbaren –
das Fühlbare am Unfühlbaren,
Vielleicht das Denkbare am Undenkbaren.“8
Noch einmal Hans Peter Dürr:
„Die Teile der Atome, die wir Elementarteilchen nennen, verlieren in gewisser Weise ihre
materiellen Eigenschaften und es bleibt nur eine Art grenzenlose Gestalt übrig.
Also: Die Materie verschwindet, aber die Form, im Sinne einer eingeprägten Gestalt bleibt.
Die Formen sind unendlich ausgedehnt, so dass eine Trennung der Objekte nicht mehr möglich ist. Alles hängt mit Allem unauftrennbar zusammen. Die Wirklichkeit ist ein Kosmos, ein immaterielles gestaltetes Ganzes, besser: das Eine, noch besser: das Nicht-Zweifache, A-dvaita, das alles einschließt, auch mich, den Betrachter, mich, der dies ausspricht.“9 – (Siehe auch10)
Analoges Denken findet man bei Clemens von Brentano (1778-1842)
„Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,
Bietet sich tröstend und trauernd die Hand,
Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,
Alles ist ewig im Inneren verwandt.“11
Ein weiteres Mal Hans Peter Dürr:
„ …… A-dvaita betont nur die Nichtauftrennbarkeit, aber die Essenz der Advaita ist noch nicht benannt…… Ich könnte es Liebe nennen oder besser: nicht substantivisch, lieben, um näher an der Wirklichkeit zu sein.“12
….“Ja, Liebe ist die Quelle. Sie wird nicht aus anderem geboren, sie ist es, die alles durchdringt, umfasst und zusammenhält.“13
Novalis:
„Liebe ist der Endzweck der Weltgeschichte und das Amen des Universums“14
Hedwig Katzenberger
1Der Vedânta ist das jüngste Buch der Upanishaden, die zu den heiligen Schriften Indiens gehören.
2Gustav Mensching, Die Weltreligionen, Drei Lilien Verlag, Wiesbaden, 1981 S.148
3Erwin Schrödinger, Mein Leben, meine Weltansicht, dtv, 4. Aufl. 2011 S.18
4Erwin Schrödinger, ebenda, S.67f
6Hans – Peter Dürr Raimon Panikkar, Liebe – Urquelle des Kosmos, Ein Gespräch über Naturwissenschaft und Religion, Herder, 2008, S. 124
7Auch in jüngerer Zeit gibt es zuweilen literarische Zeugnisse verwandten Welterlebens, s. z. B. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Kapitel 32, S125, Gesammelte Werke, rororo, 1978
8Novalis, Traktat vom Licht, Neue Fragmente
9Hans – Peter Dürr – Raimon Panikkar, S. 24
10Hans – Peter Dürr, Es gibt keine Materie! , Crotona Verlag 1. Auflage 2012
11Clemens von Brentano, „Sprich aus der Ferne“, (8. Strophe)
12 Hans – Peter Dürr – Raimon Panikkar, S.138 —
13 ebenda , S. 142
14Novalis, Schriften, Fragmente, hg. von Ludwig Tieck und Ed. von Bülow, Verlag G. Reimer, Berlin, 1846