Karlheinz Deschner

 

  Als die Dinge noch namenlos waren

Licht ist meine Lieblingsfarbe

Die Frage, was wohl das Schönste sei auf Erden, beantwortete ich mir selbst einmal: außer der Liebe das Licht – dies Licht anderer Welten, wenn es Pappeln umarmt, einen Bergrücken, aus den Brandwunden des Mohns in den Sog stiller Waldpfade läuft, Signale, die keiner entziffert, keiner begreift, des Sonnenstifts Stenogramm auf einem Fluß, einem See, so unfaßlich stets, selbst der in mausgrauen Samtschritten Felder überhuschende Schatten noch Licht, Licht noch im späten Verdämmern, in Augenblicken… Das ist’s, was diese Bilder für mich in einen Abendhimmel verwandelt, in Wolken überm Meer, einen opalisierenden Fischleib, das metallische Schillern um einen Ringeltauberhals.

Zuweilen, seh‘ ich sie nicht, hab‘ ich Heimweh nach ihnen, und seh‘ ich sie, hab‘ ich Heimweh erst recht…

Ob Hedwig Katzenberger malend an Abendmeere denkt, an Wolkenfeste, einen aufschäumenden Tag?   Gewiß stehen hinter diesen Arbeiten intensive Erinnerungen, Besinnungen, Gedanken. »Als die Dinge noch namenlos waren, waren sie lebendig« – also werden sie wieder aufs Namenlose reduziert. Doch ebenso gewiß sind dies Selbstporträts, Psychogramme, freilich transpersonaler Art.

Eines Tages, von vielen dieser Schöpfungen umgeben, fühlte ich sie wie lauter stille Beseeltheiten um mich, mit vielen Gesichtern – aber mit einer Seele, Wesen, die mich ansahen, sich wieder verwahrten, etwas spiegelnd von mir, von dir, etwas berückend Entrücktes, zu himmlischen Weiten, zu fern verfließenden Ebenen hin, die Verse beschwörend auch, die berühmten:

  »Heut fährt der Gott der Welt auf einem Floße,
Er sitzt auf Schilf und Rohr,
Und spielt die sanfte, abendliche, große,
Und spielt die Welt sich vor.Er spielt das große Licht der Welt zur Neige,
Tief aus sich her den Strom
durch Ebenen mit der Schwermut langer Steige
Und Eweigkeitsarom.So fährt sein Licht und ist bald bei den größern,
Orion, Schwan und Bär:
Sie alle scheinen Flöße schon mit Flößern
der Welt ins leere Meer.Bald wird die Grundharmonika verhallen,
Die Seele schläft mir ein,
Bald wird der Wind aus seiner Höhe fallen,
Die Tiefe nicht mehr sein.«

Wollte man der Künstlerin vorwerfen, es fehle das menschliche Element in ihrer Kunst, könnte sie mit dem Wort eines amerikanische Kollegen replizieren: »…after all, all art is human.« Und alle Kunst – das gegen jene, die in dieser gemalten vita contemplativa die vita activa vermissen – alle Kunst ist auch engagiert. Es gibt nur engagierte Kunst oder Nicht-Kunst, nichts dazwischen.

Was ist das Besondere ihrer Malerei?

Ich bin kein Kunstkritiker, also »inkompetent« – doch gleichwohl kompetent genug, um festzustellen, daß Kunst, zum Glück, vor allem zu ihrem Glück nicht nur, ja, nicht einmal in erster Hinsicht für Kunstkritiker entsteht; daß auch gewöhnliche Sterbliche Augen haben im Kopf, etwas Verstand dazu, ein Herz, und vielleicht sogar ein paar Vergleichsmaßstäbe aus Vergangenheit und Gegenwart. Bedenken wir außerdem, daß die verkehrtesten Urteile über Kunst von Kunstkritikern, die verkehrtesten über Literatur von Literaturkritikern, die über Kirchen- und Religionsgeschichte von Theologen stammen, so befindet man sich als Inkompetenter bei einem Irrtum in ganz kompetenter Gesellschaft. Wie auch immer, ich fälle kein Urteil, fast nicht, ich gebe Eindrücke wieder.

Das Besondere dieser Bilder ist ihre Tiefe, eine mitunter fast kosmische Tiefe, an die Oberfläche gestrahlt wieder durch das Licht, das einfließt in die Verschwebnisse der Farbe, dieser »Tochter des Lichts«. Das Besondere, das Hedwig Katzenberger unterscheidet von da und dort vielleicht an sie erinnernden Bildern von Olitski, Ad Reinhardt, Mark Rothko, Gotthard Graubner, Rupprecht Geiger, das Besondere ist das nahezu traumhafte Ineinander von Licht und Farbe, sind die unmerklichen Übergänge, zartgeballten Kontraste, Wirkungen, Offenbarungen, die man eigentlich nur die Natur hervorbringen sieht: hauchzarte Übergänge, wie wir sie am Himmel erleben, in Dämmerungen und Gegendämmerungen – und Kontraste, die wir nicht als Kontraste erfahren, sondern als Einheit, in den besten Bildern zur vollkommenen Harmonie gebracht, Bilder, die nichts enthalten als sich selbst, die ihre Evidenz in sich tragen, wie ein Augenaufschlag, der uns bannt, doch für sich bleibt. Evangelien fast des Verschweigens, des Verheißens. Bilder, die atmen, Metamorphosen, Polarisierungen; am stärksten wohl jene, die nur aus einem Grundton bestehen, vom Dunkel ins Licht gehn, vom Licht ins Dunkel. Und nirgends Dualistisches, Gespaltenheit.

Diese Künstlerin, die an Hölderlin, ihrem Lieblingsdichter, die Sehnsucht liebt, »in das Geschehen der Natur einzufließen«, »die Hintergründe lebendig zu machen«, die selber die Sehnsucht hat, das Unfaßliche unserer Existenz zu erfassen, das Dasein zu begreifen, hebt Tiefen an die Oberfläche und macht die Oberfläche tief, der Hintergrund wird Vordergrund, ohne vordergründig zu sein – kein illusionistisches Scheinen, keine bloß koloristische Bravour. Nirgends zügellos orgiastische Farben, bloß äußerlich prickelnde Pracht; doch nirgends Asketismus auch. Diese Malerin, die mit dem Wechsel der Lichtwirkung zaubert, schätzt sowohl die zarte Tinktion, den abgetönten Glanz, als auch das Aufflammen pneumatischer Farbsensationen. Wir sind nie einsam vor Ihren Bildern, wie vor Fremden; aber wir sind einsam vor ihnen, wie manchmal vor jenen, die uns am nächsten stehn.

Eine Eigenart: der gemalte Rahmen. Er schafft Spannung, den Gegensatz, eine gewisse Dramatik, ja, Magie, eine äußere, doch wesentlich zum Bild gehörende Begrenzung, die häufig das Ganze umfaßt, nicht selten drei, zwei Seiten bloß, wobei der Rahmen das Bild manchmal hart konturiert, oft auch die Binnenform in den Rahmen hineinwächst, sich verliert. Kein Zweifel, gerade die wechselnde Rahmung gibt jedem Werk Tiefenwirkung, das Geheimnis, den Sog, freilich nur, buchstäblich, im Rahmen des Ganzen.

Nach dem Wesentlichen Ihrer Kunst befragt, sagt Hedwig Katzenberger: »Etwas Spontanes, viel tiefer als das Denken.« Und sicher ist ihr Ansatz nicht theoretisch, sicher malt sie jenseits rationaler Orientierungen, aber ebenso sicher bewußt. Man könnte ihr Schaffen eine Art Ausbruch nennen, einen ebenso schönen wie starken Eskapismus. Und doch ist es mehr: das restlose Abschütteln zwar aller Zwänge dieser so zerissenen verwirtschaftlichten und verwirtschafteten Welt, unseres tagtäglich geschändeten und tödlich bedrohten Daseins – das sie indes auf ihre Weise hereinholt wieder. Erstrebt sie ja stets von neuem den ihr gemäßen Ausdruck für das Ganze.

Sie zitiert einen alten chinesischen Weisen. »Ohne aus dem Fenster zu sehen, kenne ich die Welt.« Und sie sagt: »Obwohl ich sehr wenig weiß vom Leben, habe ich immer das Gefühl, ich weiß es doch.« Ein bescheidener, ein anspruchsvoller, ein einfacher, ein tiefer Satz.

Die Malerin sucht die Vielheit darzustellen durch die Einheit, durch die Sublimierung, die Magie. Nicht unbedacht gebrauche ich das Wort zum zweitenmal. Sie malt Zusammenhänge, die wir nicht sehen, die sie selbst erklärtermaßen nicht kennt. Man könnte ihr Lebensgefühl hylozoistisch nennen. Auch ist die unter anderem Religionswissenschaft studierende Psychologin mit ostasiatischen Glaubensformen bekannt. Die Verwurzelung sei vielfältig, sagt sie, das Rätsel groß und unser Bewußtsein so begrenzt. Und so ließe sich gerade auf ihr Schaffen, auf ein Werk, das fern von Markt und Vermarktung, still, fast wie pflanzenhaft wuchs und wächst und doch tiefbewußt zugleich und in seinem Besten so bezwingend schön, ein Satz von Ad Reinhardt anwenden: »It must be known to be seen and seen to be known.«

Karlheinz Deschner