Farbe zwischen Licht und Finsternis
Zur Malerei von Hedwig Katzenberger
Hedwig Katzenberger begann in den 70er Jahren mit der Aquarelltechnik. Farbflächen von subtil fließenden Übergängen, eine absolut homogene Oberfläche sowie ein besonderes, ruhig sich ausbreitendes Licht, das aus der Verbindung der Helle des Papiers mit der porösen Farbfläche resultiert, kennzeichnen die zunächst noch kleinformatigen Bilder. Auf Horizonthöhe, die durch den Kontakt zweier – oft temperatur- wie helligkeitsverschiedener – Farbtöne angedeutet ist, finden sich damals noch minimale figurative Versatzstücke maritimen Charakters, die dem Auge eine gewisse räumliche Dimension eröffnen.
Aus dieser Zeit stammen auch Blätter mit Streifen von Buntfarbenreihen, die aus dunkler grauem Grund aufleuchten. Schon hier erprobt Hedwig Katzenberger Helldunkel- bzw. Licht-Finsternis-Kontraste im Zusammenspiel mit gesättigten Buntfarben. Bereits diese frühen, der Farbe gewidmeten Versuche stellen Bezüge zu namhaften Farbkünstlern wie Richard Paul Lohse und seinen seriellen Ordnungen und systematischen Farbreihenbildern der Jahre zwischen 1940 und 1960 her sowie zu Aquarellen der Bauhauszeit von Paul Klee, Mitte der 20er Jahre, wie z.B. »Abstrakt, farbige Kreise durch Farbbänder verbunden«.
Hier sei betont, daß die Malerin autoditaktisch arbeitet und sich lange fernhielt vom Studium künstlerischer Vorbilder.
In den 80er Jahren findet sie in den Aquarellen zu einer abstrakten Form ohne jegliche gegenständliche Zitate, die für ihre großen Acrylgemälde bestimmend bleibt: Rechtecke, die ein bestimmtes reduziertes Muster formaler Ordnung aufweisen – einen gemalten, oft geschlossenen Rahmen unterschiedlich breiter, mit der Bildfläche abschließender Randstreifen, eine in dieser differenzierten Begrenzung sich ausdehnende Binnenfläche der fließenden Farbübergänge und nicht zuletzt die Lichtform, die sich innerhalb des Farbereignisses der Mitte, der chromatischen Übergänge herausschält. Scheint die diffus begrenzte, zunächst matt verhaltene Lichtform gleichsam an die Rahmung zu stoßen, entsteht der Eindruck, diese farbige Fläche bedeute ein Dahinter, bezeichne gleichsam einen Fensterblick in den unbegrenzten Raum.
Die räumliche Distanz zwischen Rahmung und Binnenoberfläche macht Zugänge von der Seite her denkbar. Durch die Rahmenstreifen verschiedener Breite erscheint das Mittelfeld subtil aus der Orthogonalen verschoben, so daß der leicht versetzte Ausschnitt die Möglichkeit eines vermuteten Dahinter als kritisches Moment aktualisiert. Die Acrylbilder ab circa 1987 zeigen diesen Aufbau in großen Dimensionen.
Die formale Struktur schafft die Ausgangsbedingung für die freie, gegenständlich ungebundene Erfahrung von Farbe und Farbbeziehung zwischen den Polen Licht und Finsternis.
Wie schon bei den Aqurellen ist für die Malerin bei der Verwirklichung fließender Farbübergänge, einander durchdringender Nuancen das Medium des Wässrigen Grundlage des Gestaltens. Die Technik des Lasierens, des Übereinanderlegens feinster Farbschichten unterschiedlicher Leuchtkraft, Eigenhelle, Dunkelheit und unterschiedlicher Veränderbarkeit im Farbton ist eine weitere Voraussetzung – eine Bedingung auch für die Wahrnehmung von Farbe als rein optische Qualität, entgegen einer Thematisierung von Farbe als Substanzqualität.
Die Erfahrung der Farbe als optisches Phänomen mit den Qualitäten von Licht und Finsternis macht den Naturbezug, den Zusammenhang mit umfassenderen Dimensionen deutlich. Hier zeigt sich ihre Verbindung zur Naturauffassung und zu Farbtheorien der Romantik – vertreten durch Goethe und Runge.
Das Übereinanderlegen pigmentgetränker Lasuren läßt schon während des Malens die Lichtform als etwas Aufleuchtendes hervortreten, als elementare, die Finsternis verdrängende Kraft. Licht entsteht, indem Farbe ihm in ihrer sukzessiven Bewegung bis hin zu den Finsternisrändern förmlich weicht. Nie grenzt dabei die höchste Farbintensität direkt an die weißliche Lichtform; vielmehr gibt es Übergänge von hellen, zarten Farbstufen hin zu solchen mit größter Intensität.
Auch monochrome Bilder existieren und andere, bei denen benachbarte Töne der warmen oder kalten Skala miteinerander wechseln. Bisweilen dominieren komplementäre Farben oder Gegensatzpaare, machmal prismatische Farben – Gelb, Pfirsichblüt, Blau, Voilettbläulich, Gelbgrün. Die Bewegung verläuft teils horizontal, teils diagonal.
Wichtig sind bestimmte Eigenschaften der Farben, ihr höchster Intensitätsgrad beispielsweise, der bei Blau, im Gegensatz zu Gelb oder Rot, in einem anderen Helligkeitsbereich liegt, oder die unterschiedliche Reaktion im Verhältnis zur Leinwand – »manche dringen mehr ein, manche weniger«.
Wesentlich ist für Hedwig Katzenberger die Ausdrucksqualität bestimmer, von ihr gewählter oder im Prozeß des Entstehens intuitiv gefundener Farbzusammenstellungen, Farbharmonien, die entsprechend den Jahreszeiten, den Natursensationen Stimmungen und seelische Befindlichkeit ausdrücken (auch hier sieht man Bezüge zu Runge und Caspar David Friedrich). So entsteht z.B. die Kombination Grün-Bläulich-Pfirsichblüt für eine frühmorgendliche, noch kühle, leicht schattige Stimmung; Pfirsichblüt und Bläulich für die Morgenröte; Gelb und Rot für warme, sonnengetränkte Begegnungen. Das Spektrum ist breit: vollklingend im Sonnenlicht und Messinggold; vital-optimistisch die Übergänge von Orange und Grün; schwermütig das nächtliche Blau.
So ist die Verbindung zur Natur wesentlicher Ausgangspunkt der Gestaltung und der entsprechenden Farbthematik. Wieder sieht man eine Verbindung zu den bahnbrechenden Farbtheoretikern der Neuzeit, Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832) und Philipp Otto Runge (1777 – 1810). Nach Goethe gleicht die Entstehung der Farben einem Naturvorgang, der sich zwischen Licht und Finsternis vollzieht. Er sah eine enge Entsprechung zwischen Natur und Kunst – auch im Ausdrucksgehalt der Farben, in »ihrer sinnlich-sittlichen Wirkung«.
Goethe begreift die Farben als dynamische Qualitäten, die sich gegenseitig beeinflussen und im menschlichen Auge ihr Äquivalent als Komplementärfarbe hervorrufen. Er betont die unterschiedliche Helligkeit der Farbe, »so wie das Gelb immer ein Licht mit sich führt, so kann man sagen, daß Blau immer etwas Dunkel mit sich führe«. Er befaßt sich mit den prismatischen Erscheindungen und dem Gesetz der farbigen Ränder (das von Hedwig Katzenberger in gewisser Weise durch die Rahmenformen aktualisiert wird). Farbe ist ihm ontologische Bedingung für Wirklichkeit und Wirklichkeitswahrnehmung.
Philipp Otto Runges Farbtheorie und die von ihm 1810 entwickelte Farbenkugel, die er als universelles Modell der Veranschaulichung von Mischungsverhältnissen und Farbübergängen zwischen den Buntfarben auf dem Äquator und den Polen Weiß und Schwarz sowie der Grauskskala im Innern des Globus betrachtete, bleiben bis ins 20. Jahrhundert – z.B. für die Maler des Bauhauses – von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Beeinflußt von Jakob Böhme sind für Runge Farben wie Kunst etwas Mystisches. »Das Licht können wir nicht begreifen und die Finsternis sollen wir nicht begreifen, da ist dem Mensch die Offenbarung gegeben und die Farben sind in die Welt gekommen«.
Schon bei seiner Farbenkugel kommt der Gedanke der Transparenz der Buntfarben hinsichtlich der Graustufen zu Geltung. So verweist eine bahnbrechende Entdeckung Runges auf die Doppelnatur der Farbe, die sowohl durchsichtig als auch undurchsichtig sein kann. Diese Unterscheidung prägt die Auffassung aller Farbkünstler des 20. Jahrhunderts. Der Einfluß Runges ist z.B. bei Klees Farbstufungen sichtbar. Jeder Maler dieses Jahrhunderts, der Wert auf Transparenz des Farbmediums legt, auf Stufung, Schichtung, Lasierungen, Durchsichtigkeit – wie Klee, Schlemmer, Muche, Graubner, Jochims etc. – beruft sich bewußt oder unbewußt auf die Entdeckungen des Romantikers.
Bedeutsam für das malerische Schaffen Runges ist die gemalte Binnenrahmung; sie erlaubt ihm, verschiedene Lichtqualitäten – göttliches Lichts, Naturlicht, bzw. Sonnenlicht, kosmisches Licht – zu differenzieren und zu verweben. Sie hilft ihm auch, die Polarität von Licht und Schatten zu interpretieren, Helle von Finsternis zu scheiden.
Das Thema des Verdeckens von Licht bzw. einer Lichtquelle, des Dahinter, klingt z.B. in der verfinsterten Sonnenscheibe der unteren äußeren Rahmung des Bildes »Der Morgen« (1808) an. Runge begreift Licht in Bezogenheit auf Unsichtbares, auf Transzendenz.
Auch in den Gemälden Caspar David Friedrichs (1774 – 1840) ist die Lichtquelle verdeckt oder unsichtbar geworden (ein Prinzip, auf das sich noch der Bauhauskünstler Josef Albers bezieht). Zwischen den Extremen reiner Lichtübersteigerung und tiefer Dunkelheit – die immer auch transparent zu verstehen ist – sind die Buntfarben angesiedelt; ihre Mittlerfunktion zwischen Licht und Dunkel ist sinnlich umgesetzt. Der Raum scheint unbegrenzt, ins Kosmische ausgeweitet. Lichtphänomene unterschiedlichster Art sind von Bedeutung; oft ist die Lichtquelle selbst in weiter Ferne angedeutet oder verdeckt. Mit der Entgegensetzung von Flächendunkel und Flächenhelle wird Helldunkel zum Stimmungsträger; Sehnsuchtvolles und Schwermütiges findet darin seinen Ausdruck. Die Farben kommen stark und eigenständig zur Geltung; sie besitzen jedoch immer noch deutlich Darstellunswert, Gegenstandbezug; das Rosa ist Frühlicht, das Grün im Vordergrund die taubenetzte Wiese, das Violettbraun bezeichnet die Höhenzüge im Nebel.
Für mehrere von Friedrich thematisierte gegenständlich gebundene Farbzusammenstellungen und Farbübergänge könnte man in Hedwig Katzenbergers abstrakten Farbverläufen direkte Äquivalente finden. Ihr Werk, das in geistesverwandter Verbindung mit der Malerei der Romantik steht, leugnet jedoch keineswegs seinen engen Bezug zur Malerei des 20. Jahrhunderts; es ist hier angesiedelt und gestaltet, in einer Weise, die höchste Aktualität besitzt.
So muß der kunsthistorische rote Faden von den Farbabstufungen und Lichtformen Paul Klees (1879 – 1940) über die Arbeiten der New Yorker Schule mit Ad Reinhardt und Mark Rothko in den späten 40er und 50er Jahren bis hin zu den individuellen Lösungen etwa eines Rupprecht Geiger, Gotthard Graubner und Reimer Jochims gezogen werden. Selbst durch »begehbare Farbräume«, mit Neonlicht erzeugt, läßt sich – wie der Amerikaner Dan Flavin gezeigt hat – die Beziehung von Farbe, Licht und Raum neu beleben.
Insofern stehen die Bilder Hedwig Katzenbergers in einer Tradition, die weit zurückreicht und noch lange dauern wird – vielleicht deshalb, weil sie sich mit dem Wichtigsten befaßt, das der Mensch hat: dem Licht.
Rechteck und Quadrat in der Malerei von Hedwig Katzenberger
Bestimmende Größe für die Malerei von Hedwig Katzenberger ist das abstakte breit- bzw. hochformatige Rechteck, seltender das statisch dominante Quadrat. Bestimmend insofern, als die wiederholte Gestalt des Bildträgers in verändertem Ausmaß auf der Leinwand sowohl in formaler Hinsicht als auch inhaltlich sinnstiftend wirkt.
Diese Malerei setzt durch die Parallelität von Bildträgerrechteck und innerem Farb- und Lichtfeld die der hermetischen, abstrakten Form des Rechtecks innwohnende, eigenwertige Ausdrucks- und Bedeutungsqualität frei, die in metaphysische Bereiche weist.
Allein die Parallelität zweier aufeinander bezogener Rechtecke führt zu inhaltlichen Fragen, wie z.B. nach der Beziehung von Muster und Grund, von Davor und Dahinter, nach der Dualität von Verdecken, Verhüllen und Entdecken, Offenbaren -, führt zur Frage nach Räumlichkeit und Zeitlichkeit. Letztere Qualitäten werden zudem durch den fließenden Rhythmus der Farb- und Lichtübergänge sowie durch Kontraste und Grenzsituationen zwischen innerem Farbfeld und Rahmenflächen erlebbar.
Die Möglichkeit, durch das ins Bild gesetzte Rechteck oder Quadrat etwas Dahinterliegendes zu verbergen oder zum anderen durch bestimmte Licht- und Farbeffekte des inneren Feldes im Zusammenspiel mit den äußeren dunkleren, helleren oder andersfarbigen Rahmenfeldern Tiefe zu erzeugen und ein unendliches Dahinter anzudeuten, läßt den spirituellen Erlebnisraum, den es zu erfahren gilt, ahnen.
An dieser Stelle ist ein kurzer Exkurs über das Quadrat in der Kunst der Moderne angbracht. Denn mit der Präferenz dieses Bildmotivs läßt sich das Werk Hedwig Katzenbergers in ein interessantes Beziehungsnetz künstlerischer Gestaltungselemente und ihrer unterschiedlichen Bedeutung einfügen.
Der russische Maler Kasimir Malewitsch (1878 – 1935), Begründer des Suprematismus, malte 1913 auf quadratischem Bildträger seine »Ikone«, das berühmt gewordene schwarze Quadrat auf weißem Grund – eine Absage an die bisherige gegenständliche Malerei.
Malewitsch war bestrebt, die Kunst vom Ballast des Gegenständlichen zu befreien. Die Gegenstandlosigkeit galt als wichtiges suprematistisches Prinzip. Ihr Ziel war nicht nur formale Innovation, sondern vor allem philosophische Erkenntnis.
Unter dem Eindruck der nerophysiologischen und psychologischen Forschung seiner Zeit verwarf er die Möglichkeit, aus den Erlebnissen der Sinnenwelt zu einer gültigen künstlerischen Aussage zu gelangen und berief sich allein auf »Unter- (oder Über-) Bewußtsein«, auf Empfindung und Gefühl.
Er suchte den reinen Ausdruck des »Tatsächlichen«, losgelöst von der Welt der Erscheinungen, das »Unbedingte« in mathematisch abstakter Form.
Den Hintergrund für Malewitschs Bewußtsein von der suggestiven Kraft der mathematisch abstrakten Form (sie läßt sich durch die Kulturgeschichte von der Antike bis zur Modere verfolgen) liefert das russisch-byzantinische Erbe der urspünglich streng bilderfeindlichen Alten Kirche, die Ablehnung des Gottesbildes sowie die spätere Bedeutung der Ikone im Sinne der Weitergabe eines Urbildes. Insofern trägt das schwarze Quadrat auf weißem Grund die Merkmale des Archetypischen.
Auch der Holländer Piet Mondrian (1872 – 1944) propagierte die gegenstandslose geometrische Form im Wissen um ihre sprirituelle Potenz. Er berief sich dabei auf die Theosophie von Helene P. Blavatsky und ihre kosmologischen Theorien. Neben der Dreiecksgestalt war für ihn die Quadratform seiner mittels Farbfeldern strukturierten Bilder bedeutsam, die er um 45 Grad kippt und »Diagonal Composition« nennt.
Das Quadrat galt ihm als Zeichen des Absoluten, dem nach seiner Auffassung Statik und Unbewußtheit zu eigen sind, im Gegensatz zu Individualität, die Bewußtheit, Veränderlichkeit bedeutet. Durch die »Reinheit der Kunst« sollte ein Gleichgewicht zwischen dem fühlenden, dem Leid ausgelieferten Individuum und der unbewußt wirkenden universalen Schöpferkraft hergestellt werden, um so »das Tragische« zu überwinden. Michael Seuphor, der Biograph Mondrians, empfiehlt, seine Gemälde »wie Ikonen« zu betrachten, als eine Art metaphysische Malerei.
Das Quadrat als Zeichen einer rationalen und transrationalen Kunstsprache ist verbindendes Element zwischen dem Werk Kasimir Malewitsch und den Künstlern des Bauhauses.
So war für Josef Albers (1888 – 1976), der vor seiner Emigration am Bauhaus unterrichtete, das Quadrat primäres Gestaltungselement. Als Ergebnis seiner systematischen Beschäftigung mit der Farbe (»Interaction of color«, 1943) entstanden 1949 die Serigraphien und Bilder der Folge »Homage to the Square«.
Albers, durchdrungen von der Erfahrung der Beeinflußbarkeit, Instabilität, Veränderlichkeit der Wahrnehmung, die er in einem übergeordneten menschlichen Zusammenhang sah, zeigte in seinen Serien die unendliche Variationsbreite sowohl des Farb- als auch des Raumerlebens unter der Bedingung der Nachbarschaft von verschiedenartigen Farbfeldern.
In bezug auf die räumliche Wahrnehmung farbiger Flächen schreibt er: »Obschon technisch die Farbe ebenmäßig flach, genau von Kontur zu Kontur reichend eingefügt ist, erzeugt sie Tiefenwirkung.«
Ihn beschäftigt auch (ähnlich wie Hedwig Katzenberger) das quantitative und qualitative Verhältnis von Quadratfeld und umgebender Rahmenfläche. Schließlich interessiert ihn die Wahrnehmungsdualität von Davor und Dahinter, das Spannungsverhältnis von Verhüllen und Offenbaren. Seine Bilder können als Meditationsbilder aufgefaßt werden.
Dies gilt auch für das Werk des aus Rußland stammenden Malers Mark Rothko (1903 – 1970). Mit Ad Reinhardt gehörte er zur bedeutenden New Yorker Schule und entwickelte um 1950 auf großflächigen Leinwänden eine ganz eigene Farbfeldmalerei. Für Rothko hat das große, aufrechte Rechteck des Bildträgers besondere Bedeutung. Mit ihm treten die unterschiedlich großen, horizontal übereinander gelagerten Rechteckfelder in farblich-räumliche Wechselwirkung. Die polyvalente Farbigkeit mit der Möglichkeit der Durchdringung sowie seine Art der Farbkomposition mit Hell- Dunkelkontrasten oder subtil gestalteten Farbmonotionien, oft im dunklen Bereich, ermöglichen eine Wahrnehmung von Raum, die jenseits des Gewohnten liegt.
Dabei suggeriert die gleichzeitige Verwendung überschaubarer Strukturen (Bildträgerrechteck, Farbfelder) gemeinsam mit einer weniger eindeutigen Farb-Licht- oder auch Formbestimmung den Charakter des unbestimmbar Flutenden, der unbestimmbaren Räumlichkeit, die sich nicht fixieren läßt, sondern eher die Orientierung des Betrachters aufhebt und ihn hinlenkt auf das innere Leuchten der schwebenden Farbflächen.
Auch hier ist die Tendenz zur Verhüllung von Dahinterliegendem festzustellen und entspricht der Scheu, auf numinose Inhalte hinzuweisen, das Unaussprechliche zu vergegenständlichen. Dies zeigt, wie stark Rothko von der jüdischen Religion und ihrer Abbilderfeindlichkeit geprägt ist.
Verfolgt man das bildbestimmende Motiv des Rechtecks bzw. Quadrats durch die Kunstgeschichte, so wird man auf seine unterschiedliche geistige Bedeutung verwiesen. Dabei sind zwei Traditionssstränge auszumachen: einmal der russisch-byzantinische mit dem Verweischarakter der Ikone als normativem Urbild, das eine freie Gestaltung religiöser Inhalte nicht zuläßt, ebenso wie die jüdische Tradition des Verschleierns, der Verhüllung des Allerheiligsten – eine Gedankenwelt, auf die sich Malewitsch und Rothko beziehen.
Der zweite Strang wurzelt in der deutschen Romantik. Seine künstlerischen Vertreter sind Caspar David Friedrich (1774 – 1840) und Philipp Otto Runge (1777 – 1810), aber auch Maler unseres Jahrhunderts wie Piet Mondrian und Albers.
Für Caspar David Friedrich ist der in Form eines Fensters gerahmte Blick auf ein Dahinter typisch (z.B. »Frau am Fenster«, 1822), manchmal auch das Verstellen eines Ausblicks durch eine gegenständlich gebundene Rechteckform (z.B. »Der Kirchhof«, 1825) oder das Verdecken der Sonne durch ein Segel (z.B. »Segelschiff«, 1815) oder durch eine Person (»Frau vor untergehender Sonne«, um 1818). Solche Beispiele stehen für den Zusammenhang seiner Malerei mit einer spirituellen Bedeutung: die Offenbarung des Göttlichen in der Natur – auch hier eingekleidet, verschleiert, verhüllt.
Die Inkarnation des Göttlichen in der Gestalt des Lichts, im Erleben der Natur findet sich auch in Runges Gemälden (z.B. »Der Morgen«, 1808). Das Motiv des gerahmten Ausblicks wird von ihm ebenso benutzt wie das der verdeckten Lichtquelle.
So war man in der Romantik bestrebt, den letzten Seinsgrund, das Geheimnis des Göttlichen, durch Verdecken und diskrete Annäherung einerseits zu verhüllen, damit jedoch umso stärker in den Mittelpunkt zu rücken.
Die Bilder von Hedwig Katzenberger wecken ähnliche Gefühle. Auch hier geht es um Licht und farbige Flächen, die – subtil in der Tönung – sich wechselweise verdecken, Tiefe und Raum erzeugend. Ihre Leuchtkraft vermittelt Numinoses und steht damit in romantischer Tradition. Andererseits erinnert die Gestaltung der Flächen, die Nutzung von Rechteck und Quadrat an Malewitsch, an Rothko und Albers, an ihre Suche nach der reinen Form.